Redoxsignalmoleküle und andere unglaubliche Wirkversprechen

Ich war auf einer Fortbildung, als mir eine der Teilnehmerinnen ein Produkt zeigte, das wahre Wunder in der Hautpflege vollbringen soll.

Es war, wie ich vermutete, ein Produkt, wie es über eine persönlich bekannte Person – also Freundin oder Familienangehörige – verkauft wird. Die Teilnehmerin hatte auf ihrem Smartphone viele Bilder mit vorher-nachher Vergleichen, die diese Wahnsinns-Wirkung belegen sollten. „Wow“, sagte ich, „das ist ja schon toll. Hast du denn das Produkt mit und darf ich da mal drauf schauen?“

Freudig holte sie eine Tube dieses Produktes und ich suchte nach der INCI. Auf der Tube war sie nicht abgedruckt. „Gibt es dazu auch einen Umkarton?“ Auch diesen zeigte sie mir bereitwillig.

Volldeklaration des Wunderroduktes. Es enthält Verdicker, Puffer und Kochsalz (unterstrichen).

Man kann sich gar nicht vorstellen, wie fassungslos und ungläubig ich die INCI las. Das war der Traum eines jeden Entwicklers: eine physiologische Kochsalzlösung (sehr preiswert herzustellen) teuer zu verkaufen. 59 Euro kostet so eine Tube mit 100 ml Inhalt.

Scharlatanerie 2.0

Wir alle wollen glauben, dass es irgendwo auf dieser Welt ein Hautpflegeprodukt gibt, das endlich alles das kann, was normale Kosmetika nicht können. Also nicht nur extrem wirksam, sondern auch gut verträglich. Und je größer unsere gesundheitlichen Probleme sind, desto eher sind wir bereit, an solche Wunder zu glauben. Die Hersteller solcher Produkte gehen dabei sehr geschickt vor. Sie erzählen erst mal eine Geschichte darüber, was im Körper so passiert. Meistens ist das sogar korrekt, doch dann kommt eine kleine Veränderung und plötzlich bekommt das, was sehr glaubwürdig angefangen hat einen Twist ins Unglaubliche. Wie zB in dem verlinkten Video:
Das Produkt soll eine Wirkung auf zellulärer Ebene haben (das ist in der Kosmetik verboten). Dafür gehen die Autoren bis in den Zellkern, in die Mitochondrien, in denen  ATP hergestellt wird. Siehe auch Wikipedia Atmungskette. Damit uns die Mitochondrien als wirklich wichtig in Erinnerung bleiben, sagen sie, sie  machten geschätzt 50% des Trockengewichts des Menschen aus. Sie behaupten dann, dass Mitochondrien auch wichtig in der Zellkommunikation seien und Aktivitäten anderer Zellen koordinieren. Wichtig für die Gesundheit seien die sogenannten Redox Signalmolekül, die in den Mitochondrien synthetisiert werden sollen. 

Googelt man nun Redoxsignalmoleküle, findet man einzig diese Produktserie, ASEA.

Patentierter Hokuspokus

Meine Bekannte wandte ein, ja, vielleicht wäre das „nur“ Salzwasser, aber die Herstellung, das wäre der relevante Unterschied. Das Salzwasser würde erste elektrolysiert und dann neu kombiniert. Echt jetzt? Salzwasserelektrolyse? Das kennen Pool-EnthusiastInnen aus ihrem Salzwasserpool vielleicht, dort wird Salzwasser elektrolysiert, es entsteht Chlor, welches das Wasser desinfiziert.
Oder aber ChemikerInnen , die zB an Dow Chemical denken, die in Stade ein großes Werk haben und dort – genau – Salzwasserelektrolyse machen, und das so gewonnene Chlor in weiteren chemischen Prozessen verarbeiten.
Jetzt soll die Elektrolyse die chemischen Prozesse in den Mitochondrien abbilden?

Offenbar gibt es genügend Leute, die das glauben. Schließlich gibt es ein Patent! Der Titel der Schrift: „Redox Signaling Gel Formulation“. Wichtig ist dabei, sich vor Augen zu führen, dass Patente keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen sind, sondern lediglich Ideen, die man vor Nachahmung schützen möchte. Hier beschreiben nun zwei Herren der Firma Reoxcyn Discoveries Group, wie sie das Produkt herstellen. Dabei klingt der Name der Firma doch original nach Star-Wars, oder?

Schematische Darstellung des Herstellungsprozesses aus dem Patent WO 2015054274 A1. Erst wird das Wasser gereinigt, dann mit Salz versetzt, elektrolysiert und verpackt.

In den Claims, den sogenannten Patentansprüchen, beschreiben sie das Produkt, das mindestens eine reactive oxygen species (ROS) und einen Verdicker enthalten soll. Der Rest sieht aus wie Pool Desinfektion. Dabei sind ROS Substanzen, die man üblicherweise vermeiden möchte. Denn aufgrund ihrer Reaktivität können sie Zell schädigend sein. Auch, wenn auf anderer Seite ein positiver Beitrag vermutet wird. Im Patent wird explizit von Superoxid gesprochen. Wenn im Körper in chemischen Prozessen derartige Substanzen vorkommen, sind sie in der Regel an ein Enzym gebunden und werden in Reaktionen sehr schnell neutralisiert.

Humbug auch als Nahrungsergänzungsmittel

Viele Kosmetikfirmen, die über das Internet oder im sogenannten Direktmarketing ihre Produkte vertreiben, bieten auch Nahrungsergänzungsmittel an. So schwören unsere chinesischen Freunde in Frankfurt auf Antioxidantien von Jeunesse und eine meiner Sportkolleginnen trinkt regelmäßig shots von Ringana. So gibt es also auch von Asea Salzwasser zum Trinken. 4l kosten 193 Euro. Wenn das nicht eine Lizenz zum Gelddrucken ist! Das bringt Lahme wieder zum Laufen, fördert den gesunden Schlaf und mildert Falten. TikTok ist voll davon.

Screenshot aus einem TikTok Beitrag zu Asea zum Trinken – hier Hilfe bei Diabetes

Dabei ist Kochsalz eigentlich gar nicht so gut, jedenfalls in großen Mengen. Denn es ist der Stoff, der mit den meisten Gesundheitsproblemen weltweit zusammen hängt.

Die österreichische Plattform Mimikama ist eine guter Faktenchecker und veröffentlicht regelmäßig Informationen zu Fake-News oder anderen Verbrauchertäuschungs-Versuchen. Redoxsignalmoleküle sind aber offenbar so banal, dass sie dort keinen Eintrag finden.

Also selber acht geben:

Sind die Wirkversprechen realistisch?
Sind die gemachten Aussagen chemisch korrekt? „Wenn die Redoxsignalmoleküle nicht verwendet werden, verwandeln sich die Atome wieder in Salzwasser“, dieses Beispiel ist es nicht
Handelt es sich wirklich um ein kosmetisches Produkt?
Gibt es unabhängige Informationen?

Wenn das alles also so klingt, als ob es zu schön ist, um wahr zu sein, dann ist es wahrscheinlich auch nicht wahr. Siehe auch Anti-Akne-Stift.

Immerhin, das Gel von ASEA schadet nicht.

Das sind die positiven Nachrichten.

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