Mikroplastik: Ist Kosmetik wirklich die relevante Quelle?

Es steht schlecht um unsere Ozeane. Wir haben sie effektiv zugemüllt. Jetzt schwimmt darin offenbar mehr Mikroplastik statt Plankton und gelangt über Meerestiere zurück auf unseren Teller. Ein Verursacher  dieses Problems scheint ganz vorne dabei zu sein: Die Kosmetik. Umweltverbände warnen vor Kosmetika mit Mikroplastik und Codecheck hat sogar eine App, die das mittels Barcodescan anzeigen kann.

Auf meiner Suche nach der Definition von Mikroplastik bin ich in das Feld von synthetischen Polymeren und Müll insgesamt gestoßen. Und kann es nicht sein, dass Mikroplastik in Kosmetik einfach nur ein Nebenkriegsschauplatz ist? Und wir uns eigentlich an ganz anderer Stelle in die Pflicht nehmen müssen?

Unser Plastik-Zeitalter

Plastik ist die umgangssprachliche Bezeichnung für Kunststoff, üblicherweise synthetische Polymere. Wer sich diesen Wikipedia Artikel anschaut (1), wird unschwer erkennen, dass ohne diese Stoffe modernes Leben schier unmöglich scheint. Alles, ob Kleidung, Baustoffe, Transportbehälter, was auch immer – es wird aus Kunststoffen gefertigt.

Abbildung 1: Wo welches Plastik eingesetzt wird, Quelle (2)

Kunststoffe sind einfach herzustellen und lange haltbar. Diese lange Haltbarkeit ist allerdings ein Nachteil, wenn es um die Eliminierung aus dem Biosphärenkreislauf geht. Ein aufrüttelndes Beispiel dafür sind sicherlich die Geisternetze, aus Kunststoff gefertigte Fischernetze, die vergessen oder durch Stürme abgerissen wurden. Sie treiben als Fallen durch die Weltmeere und unzählige Tiere – Schildkröten, Delphine, Vögel – verheddern sich darin und gehen elendig zu Grunde (3).

Da die  Bioabbaubarkeit von Kunststoffen ziemlich schlecht ist (4), kumuliert  der Plastik-Müllberg stetig. Dabei bilden  auch unsere „Wegwerfgewohnheiten“ einen wichtigen Beitrag: Verpackungen werden z.B. schon im ersten Jahr weggeworfen. Dabei sprechen wir beispielsweise von den Coffee-to-go-Bechern, aber auch von Mülltüten aus Plastik.

Abbildung 2: Verwendungsdauer von Plastik bevor es zu Müll wird, Quelle (5)

Roland Geyer schreibt in seiner Veröffentlichung sogar davon, dass wir Menschen gerade ein unkontrolliertes Experiment globalen Ausmaßes durchführen (5). Und die Britische Royal Society widmet in ihren Philosophical Transactions einen ganzen Band (6) dem Thema Plastik und seiner gesellschaftlichen Bedeutung. Thompson et al. nennen es in der Einleitung “our plastic age“ – unser Plastik-Zeitalter (7).

Plastik, Müll und Recycling

Die Produktionszahlen von Kunststoffen steigen seit 1950 stetig an. Insgesamt sind seither schätzungsweise  8,3 Mrd. Tonnen Kunststoffe produziert und verarbeitet worden (8). Davon landet am Ende des Gebrauchs das meiste –  nämlich 79% – auf Mülldeponien. Nur 9% werden recycliert, der Rest wird verbrannt. Der Müll ist derjenige, der letztendlich für den massiven Eintrag von Plastik in die Ozeane mit verantwortlich sind – abhängig davon, ob der Müll überhaupt auf Deponien gelagert wird und wie gut diese gemanagt werden (9). Aber auch das mit dem Recycling hat seine Tücken: Zum einen werden auch recyclierte Produkte irgendwann zu Müll und zum anderen  wird offenbar ein Großteil des Mülls einfach exportiert und landet letztendlich wieder – im Meer  (10). Wir Verbraucher werden betrogen und die Mülltrennung ad absurdum geführt.

Die Definition von Mikroplastik

Mikroplastik ist alles das, was kleiner als 5 mm ist (11).  Diese Teilchen kann man mit bloßem Auge erkennen und weil die spezifische Dichte kleiner ist als die von Wasser, treibt es an der Oberfläche. Dort wird von Meeresbewohnern gefressen.  Darüber forscht und veröffentlicht Jenna Jambeck (12, 13).

Mikroplastik gelangt  auf zwei Wegen in die Meere: Man nennt sie primärer und sekundärer Eintrag. Ich fang mal mit letzterem an, weil wir da schon eine große Zahl haben. Denn von den 8,3 Mrd. Tonnen Plastik, die bisher weltweit erzeugt worden sind, 79 % Müll. Umgerechnet können theoretisch etwa 6,6 Mrd. Tonnen ins Meer gelangen! 6,6 x109 Tonnen, eine unvorstellbare Größe. Natürlich gelangt nicht alles davon ins Meer, glücklicherweise. Aber immerhin gehen Hochrechnungen davon aus, dass 2010 etwa 8,75 Millionen Tonnen Plastikmüll im Meer gelandet sind (14).  Hauptverursacher sind schlecht gemanagte  Deponien in Schwellenländern (15).

Der primäre Eintrag, wird auch „absichtlich“ genannt und beschreibt den Einsatz von Rohstoffen, die üblicherweise in Produkten eine Funktion erfüllen: Wie als feste Bestandteile in kosmetischen Peelings oder in Zahnpasta. Aber Kosmetik ist nur ein kleines Segment in dem weltweiten Eintrag.

Abbildung 3: Quellen von absichtlich eingesetztem Mikroplastik in Norwegen  (16, 17) , Quelle (18)

Was bedeutet das für uns? Mikroplastik in Kosmetik ist offenbar ein Hype, der vom Eigentlichen ablenkt. Autofahren ist DER relevante Verursacher von Mikroplastik (19). Insgesamt gibt es zum globalen Thema Mikroplastik sehr viele nationale Veröffentlichungen. Unter anderem haben die Niederländer einen Prioritätenliste erstellt und erklären mit welchen Produkte sie anfangen wollen (20). Als drittwichtigstes Produkt nach Verpackungen und (Wegwerf)-Müll sind für sie Kosmetika. Sie beziehen sich bei Mikroplastik alle auf partikuläre Teilchen, die „scrubs“, da diese einfach zu ersetzen sind. Und, mit Kosmetika kann man viele erreichen und die Aufmerksamkeit auf Mikroplastik lenken. So die Argumentation

Kosmetik Bashing – löst es das Problem?

“Microplastics in cosmetic products therefore  play a minor though avoidable role in environmental pollution caused by plastic debris”, stellt das Autorenkollektiv fest, das eine Studie für das Umweltbundesamt zu Mikroplastik durchgeführt hat. Um sich dann im Text zu widersprechen und Kosmetika als Hauptverursacher für Mikroplastik (PE Beads in Duschprodukten) zu bashen (21).

Was stimmt denn nun?
Stimmen tut offenbar die mangelhafte Unterstützung der Kosmetikindustrie bei der Lösung eines vermeidbaren Problems.

Und es gibt ja noch andere verbraucherrelevante Quellen für MIkroplastik: Fleece Pullis (22)! Und das Abwasser normaler Haushaltswäschen. Damit werden signifikante Mengen Mikroplastikfasern in die Gewässer eingetragen. Im Zuge der globalen Veränderung der Wollproduktion habe ich mir das vor 4 Jahren schon mal angesehen. Auch hier könnte man ansetzen: Weg mit dem Micro-Fleece! Strickt mehr Wollpullies (23)!

Mikroskopisches Mikroplastik

Eigentlich wäre das Thema Mikroplastik in Kosmetik damit gelöst (24). Denn partikuläres Mikroplastik ist einfach aus kosmetischen Formulierungen zu eliminieren. Und es gibt natürliche Ersatzstoffe für „scrubs“ und „beads“. Umweltverbände warnen allerdings nun vor anderem – mikroskopischem –  Mikroplastik. Darunter verstehen sie andere synthetische Kunststoffe, die im Wasser quellbar und zum Teil auch löslich sein können (11).

Greenpeace hat gleich eine ganze Liste dieser Stoffe zusammengestellt (25):

Abbildung 4: Mikroskopisches Mikroplastik, Rohstoffe, die in kosmetischen Formulierungen zum Teil unverzichtbar sind (25)

Es handelt sich hier um Polymere, die als Filmbilnder, Stylinghilfen, Befeuchtungsmittel, Emulgatoren, Gelbildner oder Stabilisatoren eingesetzt werden. Wir haben ein Problem! Natürlich kann man konsequent alle Produkte, die die fraglichen Inhaltsstoffe enthalten, aus dem Sortiment nehmen. So wie es Annemarie Börlind letztes Jahr mit ihrer Sonnencreme gemacht hat (26). Aber im Gegensatz zum ursprünglich diskutierten Mikroplastik geht der Ersatz dieser Rohstoffe nicht so einfach. Weglassen ist auch keine Option, da z.B. Polyacrylate häufig ein wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil der Rezeptur sind. Nicht nur in der Kosmetik, auch im Ultraschallgel oder in pharmazeutischen Anwendungen. Im täglichen Hygienebedarf werden solche Polymere als Superabsorber in Slipeinlagen oder Windeln verwendet.

Was also tun?

Im Zuge von REACh werden auch Bioabbaubarkeiten der genannten Substanzen untersucht und dokumentiert. Sie liegen beim Hersteller des Rohstoffes vor. Auch die Kosmetikhersteller dokumentieren ihre Produkte (27) und müssen den Verwenderinnen Auskunft geben, den Verbraucherorganisationen sowieso (28).
Aber mal ganz ehrlich ihr lieben Umweltschützer: Natürlich kann man auch hier ein Fass aufmachen, aber weder bekommt man den Plastikmüllberg damit in den Griff noch die wesentlichen Verursacher. Wer wirklich etwas tun will, kann konsequent Plastik meiden und seinen Müll verringern, weniger Auto fahren und Wollpullis tragen. Doch wir setzten Plastik und auch Polyacrylate zum Beispiel in der Landwirtschaft ein – als Bodenverbesserer.

Kurz, das Thema Plastik und Mikroplastik ist nicht Schwarz / Weiß. Müllvermeidung und Nachhaltigkeit sind nicht auf Kosmetika begrenzt. Es betrifft uns alle – überall. So wird konsequent geforscht daran, wie sich konventionelle Plastikprodukte abbauen lassen und neue, bioabbaubare Polymere werden entwickelt. Und ganz sicher kümmern sich gerade die Europäische Kommission und Interessenverbände der kosmetischen Industrie wie z.B. Cosmetics Europe um das mikroskopische Mikroplastik.

Referenzen

(1) Wikipedia: Definition Plastik
(2) Plastics Europe: Die Fakten
(3) Greenpeace: Geisternetze
(4) Shah et al. Biological degradation of plastics: A comprehensive review
(5) Geyer et al. Production, use and fate of all plastics ever made
(6) Royal Society: Content June 2009
(7) Thompson et al. Our plastic age
(8) Biooekonomie: Plastik Produktion weltweit
(9) Deutsche Welle: Plastik Problem
(10) Die Zeit: Plastikmüll – Handel
(11) BUND: Mikroplastik
(12) Jambeck: Blog
(13) UN: Praesentation Jambeck
(14) ISWA: Jambeck 2015
(15) Taraexpeditions: Microplastic
(16) Pinterest: Mikroplastik Pinwand
(17) Pinterest: pin/82964818112876818/
(18) Nyhetsgrafikk Norwegen
(19) Stichtingmilieunet.nl: Mikroplastik von Autobahnen.
(20) RIVM: Bericht zu Mikroplastik
(21) Umweltbundesamt: Quellen von Mikroplastik
(22) Almroth et al. Quantifying shedding of synthetic fibers from textiles; a source of microplastics released into the environment
(23) Pinkmelon: Lanolin
(24) Europaeische Kommission: Finaler Report zu Mikroplastik
(25) Greenpeace: kurzinfo-plastik-kosmetik
(26) Boerlind: Stellungnahme_Acrylates
(27) Dejayu: Alternativen zu Tierversuchen
(28) Greenpeace: Nivea in Erklaeungsnot

Danksagung

Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken, bei allen, die ich wegen Bildern und Informationen angefragt habe. Ich habe durchweg umgehend positive Antworten bekommen. Das ist in meinem Blogger-Alltag alles andere als selbstverständlich und zeigt mir, wie ernst das Thema Mikroplastik genommen wird.

Weiterführende Links

https://www.zeit.de/thema/plastik

https://www.weforum.org/agenda/2018/01/world-without-waste-recycle-plastic/

https://www.vci.de/vci/downloads-vci/publikation/chemiewirtschaft-in-zahlen-print.pdf

http://www.miljodirektoratet.no/Documents/publikasjoner/M321/M321.pdf

https://www.umweltbundesamt.de/themen/mikroplastik-in-kosmetika-was-ist-das

ttps://www.cosmeticseurope.eu/how-we-take-action/leading-voluntary-actions/2018-data-collection-faqs/

https://www.bfr.bund.de/de/fragen_und_antworten_zu_mikroplastik-192185.html

https://www.careelite.de/plastik-muell-fakten/

https://www.statista.com/statistics/282732/global-production-of-plastics-since-1950/

https://www.plasticseurope.org/application/files/5715/1717/4180/Plastics_the_facts_2017_FINAL_for_website_one_page.pdf

https://www.bbc.com/news/science-environment-42264788

Biologische Abbaubarkeit von Plastik

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18337047

http://www.mdpi.com/1422-0067/10/9/3722/htm

http://www.mdpi.com/2073-4360/5/1/1/html

https://s3.amazonaws.com/academia.edu.documents/9916230/2161-0525-1-111.pdf?AWSAccessKeyId=AKIAIWOWYYGZ2Y53UL3A&Expires=1531840686&Signature=xmLmvgcPi2KFKuI8GnuIpP4eEfk%3D&response-content-disposition=inline%3B%20filename%3DBiodegradability_of_Polythene_and_Plasti.pdf

Bildnachweis

Abbildung 1: www.plasticseurope.org

Abbildung 2: http://advances.sciencemag.org/content/3/7/e1700782.full

Abbildung 3: https://www.nyhetsgrafikk.no/

Titelbild und Abbildung 4: eigenes Werk, Nutzung unter der Creative Commons Lizenz CC BY-SA 3.0

 

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