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L’Oréal Seidige Nährpflege Shampoo ohne Sulfate

L’Oréal Seidige Nährpflege ist ein Shampoo, dem ich sozusagen hinterherjage. Zunächst fand ich das Produkt im Dorgeriemarkt. Der Claim „ohne Sulfate“ sprach mich an. Doch nur wenige Monate nach dem ersten Kauf stand es dort nicht mehr im Regal. Im Internet fand ich es dann und machte das, was ich nie, nie, nie aber auch niemals machen wollte: Ich kaufte es bei Amazon. Jetzt, zum Nachbestellen, ist es wieder nicht verfügbar. Was hat dieses Shampoo also, dass es so rar macht?

Produktsteckbrief

Gekauft bei Amazon am 23.8.2016 für 4,95 € (im Dreierpack als Plusbestellung)

Inhaltsstoffe:
Aqua, Sodium Cocoyl Isethionate, Sodium Lauryl Sulfoacetate, Disodium Laureth Sulfosuccinate, Sodium Lauroyl Sarcosinate, Glycol Distearate, Cocamidopropyl Betaine, Decyl Glucoside, Hydrogenated Coconut Acid, Sodium Chloride, Sodium Isethionate, Sodium Benzoate, Sodium Hydroxide, PPG-5 Ceteth-20, Peg-55 Propylene Glycol Oleate, Trideceth-6, Polyquaternium-7, Polyquaternium-10, Camelina Sativa (Oil), Benzoic Acid, Linalool, Amodimethicone, Propylene Glycol, Carbomer, Cetrimonium Chloride, Vitis Vinifera (Seed Oil), Methylchloroisothiazolinone, Methylisothiazolinone, Citric Acid, Prunus Armeniaca (Kernel Oil), Hexyl Cinnamal, Glycereth-26, Glycerin, Parfum.

Shampoo ohne Sulfate

Das ist ein wichtiges Werbeversprechen. Doch halt, sind denn Sulfate schlecht? Was machen sie denn im Shampoo? Ich verorte „Sulfate“ vorwiegend in der Waschmittelindustrie (1, 2). Dort finden sich neben Sulfaten auch Sulfonate, Carboxylate oder Phosphonate.

Abb. 1: Chemische Strukturformel von Natrium Laureth Sulfate(SLES)

In der Kosmetik ist mit Sulfaten gemeint, Natrium Laureth Sulfate (abgekürzt SLES, ein Fettalkoholethersulfat), DAS Tensid in der Körperpflege schlechthin. Es ist in (fast) jedem Shampoo, Duschgel oder Handreinigungsprodukt enthalten. Der Rohstoff ist preiswert und in großen Mengen verfügbar. SLES ist dafür verantwortlich, dass das Produkt schäumt, wenn wir es mit Wasser vermengen. Und wir Verwenderinnen assoziieren Schaum mit Reinigung und Pflege (3). Es gehört zu Gruppe der Anionischen Tenside, die eine besonders gute Reinigungsleistung haben (4).

Was macht „ohne Sulfate“ besser als herkömmliche Shampoos?

L’Oréal formuliert es für die Verwenderinnen auf den Punkt: „Strapaziertes, geschädigtes Haar benötigt eine besonders sanfte Pflege. Das sulfatfreie Nährpflege-System* von Seidige Nährpflege pflegt strapaziertes, geschädigtes Haar tiefenwirksam. Für ein außergewöhnliches Haargefühl.“ (5)
Aber stimmt das überhaupt? Was sind denn diese Tenside „ohne Sulfate“ eigentlich?

Abb. 2: Vergleich der in dem Shampoo ohne Sulfate eingesetzten Tensiden mit SLES

Es fällt auf, dass die eingesetzten Tenside alle aus der Klasse der anionischen Tenside stammen. Bei dem  Standardsystem SLES / Cocamidopropyl Betaine  (6) ist SLES durch die Kombination von vier anderen Tensiden ersetzt worden. Das Haupttensid ist Sodium Cocoyl Isethionate. Also gar nicht soooo neu oder anders. Warum also dieser Aufwand?

Wie mild können Tenside sein?

Tenside stehen allgemein nicht in dem Ruf besonders gut hautverträglich zu sein. Gerade die anionischen Tenside stehen durch ihre gute Reinigungskraft zusätzlich im Verdacht nicht nur Hautirritationen zu verursachen, sondern auch Allergien oder Kontaktdermatiden. Im Allgemeinen korreliert man die Reinigungsleistung mit der CMC von Tensiden und mit ihrer Hautverträglichkeit. Da Tenside aber nicht nur auf die Haut, sondern auch ins Auge kommen können, ist auch die Augenreizung ein wichtiges Kriterium. Und das ist der Draize Test, der früher – wirklich früher vor mehr als 30 Jahren! – am Kaninchenauge gemacht wurde. Noch heute spuken die Bilder dieser Tiere in unseren Köpfen herum. Die erste Frage, die mir in der Regel zu Kosmetik gestellt wird ist: „Macht man da nicht Tierversuche?“ Nein! Dafür gibt es lange schon validierte in vitro Tests, die zum etablierten Testprozedere gehören. (7). So zum Beispiel der RBC Test zur Abschätzung des Reizpotentials am Auge (8). Allerdings wird immer wieder die Frage aufgeworfen, wie gut in vitro Tests, ein Reizpotential von Tensiden wirklich vorhersagen können (9-11). Anbieter von Hautmodellen (restrukturierte Epidermis) zur Testung von Rohstoffen stellen natürlich ihr Modell als das non-plus-ultra vor (12).

Abb. 3: Möglichkeiten zur Klassifizierung des Reizpotentials von Tensiden

Verträglichkeitsrankings von Tensiden

Vor einem Jahr fand ich ein Ranking von Tensiden mittels RBC-Test noch auf der Seite: http://www.kosmetik-check.de/themen2012_08.php. Die wird mittlerweile aber nicht mehr betrieben. Somit illustriert sie, wie das Dilemma der Bewertung von Tensiden aussieht. Es gibt also nicht DEN Test. Deswegen bin ich bei meiner Recherche nach umfassenden Bewertungen von Tensiden, allenfalls auf Stückwerk gestoßen. Den meines Erachtens bisher besten Überblick geben Effendi und Maichbach in dem Buch „Irritant Dermatitis“ im Kapitel Detergents (13).

Generell gilt bei dem Irritationspotential von Tensiden: anionisch = kationisch > amphoter > nichtionisch. Bei der Cytotoxizität ergibt sich ein anderes Ranking: kationisch = amphother > anionisch > nichtionisch.

Bei Clariant (14) fand ich ein Ranking mittels eines in vitro Tests (Zeintest), der auch kommerziell angeboten wird. Mit ihm lässt sich das Irritationspotential (Haut) messen (15). Das Prinzip ist, dass ein wasserunlösliches Protein (Zeinprotein) durch Tenside zunächst löslich gemacht wird und danach seine Struktur verändert. Diese Vorgänge sind konzentrationsabhängig (16, 17).

In diesem Test zeigt sich Sodium Cocoyl Isethionate milder als Sulfosuccinate  milder als  SLES  und diese milder als Sarcosinate. Die im Zeintest bestimmte Milde von Tensiden ist: nichtionisch > amphother > anionisch > kationisch. Sie ist zusätzlich abhängig vom Grad der Ethoxilierung (je mehr desto besser) und vom Kation (NH4 besser als Na).

Trocknen Shampoos ohne Sulfate das Haar weniger aus?

Kann das Haar austrocknen? Schließlich handelt es sich doch um „tote Materie“. In dem Patent von L’Oréal US 8865147 B2, in dem eine der seidigen Nährpflege sehr ähnliche Tensidkombination beschrieben wird, findet sich dieser drollige Hinweis: „… however, sulfate-based surfactants have a tendency of making the hair too dry and therefore, consumers prefer to use sulfate-free surfactants as shampoos.“ ( Hingegen haben Sulfat basierte Tenside die Tendenz Haare auszutrocknen und deswegen präferieren die Verbraucher Sulfat-freie Tenside als Shampoos. Das klingt wie eine  Bahnhofsansage: Die Abfahrt des  Zuges  verzögert sich aufgrund einer Verspätung).

Da bleibt einem nur noch intelligente Spekulation darüber, was wahrscheinlich gemeint sein könnte: Die äußere Schuppenschicht des Haares, Cuticula, die durch Waschen, Färben, Stylen  aufgeraut sein kann (19), kann mit einem SELS haltigen Shampoo weiter geschädigt werden. Denn Tenside, gerade SELS oder SLS, können an Proteine binden (das ist ja auch das Prinzip des Zein Tests). Es ist also anzunehmen, dass es im Hause L’Oréal entsprechende Testverfahren zur Bewertung der Tenside gibt, wie sie zum Beispiel von der Firma Kao veröffentlicht sind (20). Schade, dass davon nichts im Patent steht.

Ohne Sulfate – ein Trend zu nachhaltigeren Tensiden

Everrich, so hieß die seidige Nährpflege als ich sie vor ca. drei Jahren das erst mal kaufte. Es war, wenn ich mich recht erinnere, das erste Shampoo, das in einer Tube angeboten wurde. Weiterhin fand ich den Claim „ohne Sulfate“ interessant, auch weil ich zu der Zeit von verschiedenen Rohstoffherstellern dazu Informationen gesehen hatten (21). Natrium Cocoyl Isethionate (SCI) ist zwar noch nicht das Massenprodukt wie SLES, aber sein Preis ist in den vergangenen Jahren deutlich geringer geworden. Somit lassen sich damit auch preiswertere Produkte herstellen. Obwohl 4,95 EUR für 250 ml nicht wirklich ein Schnäppchen sind. Im Zuge der Suche nach biologisch gut abbaubaren Tensiden und nachhaltigen Rohstoffen, werden wohl aber zunehmend weitere Tenside ohne Sulfate auf den Markt kommen (22).

Kann das Shampoo mehr als andere?
Es reinigt ordentlich, es schäumt auch gut (etwas, was nicht bei jedem sulfatfreien Shampoo der Fall ist). Mein Haar fühlt sich hinterher fester, kräftiger an und lässt sich gut kämmen. Das gefällt mir und deswegen habe ich es wieder gekauft. Außerdem habe ich den Eindruck, dass es sehr ergiebig ist.

Warum ich es im Einzelhandel nicht mehr finde? Das liegt möglicherweise daran, dass es nicht zu den sogenannten „Schnelldrehern“ (23) gehört. Warum es jetzt aber auch nicht mehr bei Amazon im Sortiment ist? Zuletzt habe ich es bei Douglas online gesehen…..

Nachtrag am 25.12.2017

…. L’Oréal hat sein Produkt umbenannt in Purerich Shampoo und ein gesamtes Pflegesystem “ohne Sulfate” ins Regal gebracht, allerdings nur bei Rossmann. Die Rezeptur ist gleich geblieben, der Preis leider nicht. Es kostet jetzt 5,99 EUR.

Literatur

(1) Wikipedia Waschmittel
(2) Seilnacht Waschmittel
(3) Schaum und Reinigung
(4) Chemie Lexikon Anionische Tenside
(5) L’Oréal Lounge
(6) DGK Vergleich verschiedener Tensidsysteme
(7) Curren, Harbell: In vitro Alternativen für Augenreizungmessung
(8) Pape et al: COLIPA in vitro eye irritation test
(9) Goffin et al: Comparison of in vitro predictive tests for irritation induced by anionic surfactants
(10) Seife
(11) Mizellenwasser
(12) In vitro Tests an restrukturierter Haut
(13) Isaak Effendi, Howard I. Maibach, Detergents, in Irritant Dermatitis, Hrsg. Ai-Lean Chew, Howard I. Maibach, 249-256, Springer Science & Business Media 2006.
(14) Clariant: milde Tenside
(15) Zein Test zur Bestimmung des Irritationspotentials von Tensiden
(16) Deo et al: Surfactant Interactions with Zein Protein
(17) Ruso et al. Complexation between Dodecyl Sulfate Surfactant and Zein Protein in Solution
(18) Crawford, Zirwas: Laundry detergents and skin irritancy
(19) Glänzendes Haar
(20) KAO: Akypo Broschüre
(21) Stepan: Sulfatfreie Tensidalternativen
(22) Tegewa: Tenside Broschüre 2014
(23) Die Macht der Handelsketten

Weiterführende Links

Bei meiner Recherche bin ich auf viele sehr unterschiedliche Seiten und Berichte gestoßen, die ich Euch hier nicht vorenthalten möchte. Es handelt sich hier um das, was an Meinungen, aber auch Aufklärungen zu Laurylethersulfat und anderen Tensiden veröffentlicht wird. Es passte nicht in meinen Beitrag, ist aber trotzdem spannend.

http://www.zeit.de/zeit-wissen/2010/04/Shampoo-Luege
https://hoax-info.tubit.tu-berlin.de/hoax/lauryl.shtml
http://www.seilnacht.com/waschm/vollw.html#
http://www.paulaschoice.com/cosmetic-ingredient-dictionary/definition/sulfates
https://beautyeditor.ca/2016/02/22/sulfate-free-shampoo
https://www.truthinaging.com/review/loreals-everpure-sulfate-free-color-care-system
http://economictimes.indiatimes.com/industry/cons-products/fashion-/-cosmetics-/-jewellery/cosmetics-giant-loreal-to-launch-natural-hair-care-products/articleshow/52771290.cms
http://www.weibchn.de/2013/05/
http://www.loreal-paris.de/haarpflege/frauen/hair-expertise/seidige-naehrpflege.aspx

Schaumvermögen von Tensidkombinationen http://www.cossma.com/fileadmin/all/cossma/Archiv/SciencArtic/COS1402_26_ScienVersGassenmeier.pdf

Bildnachweis

Abbildung 1 SLES: https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Edgar181

Alle anderen Abbildungen und Bilder sind eigene Werke, Nutzung nur nach vorheriger Genehmigung von Ghita Lanzendörfer-Yu: info@dejayu.de

 

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  1. Danke für diesen interessanten Beitrag! Gut zu wissen, dass sich dein Haar nach der Wäsche fester und kräftiger anfühlte und sich gut kämmen ließ. Da ich sowieso noch qualitative Handreinigungsprodukte kaufen möchte, werde ich mir das Shampoo mit auf die Liste setzen. Danke für den Artikel!