Phagen in der Hautpflege – das klingt wie eine Unmöglichkeit. Wie soll der Einsatz von Viren in der Behandlung von entzündlichen Hauterkrankungen helfen? Akne, Neurodermitis, Rosacea? Und dann ausgerechnet jetzt, wo wir eine von einem Virus ausgelöste Pandemie durchleben. Viren sollen gut sein? Tatsächlich „befallen“ Viren nicht nur Menschen, sondern alle Lebewesen. Viren, die Bakterien infizieren, nennt man Bakteriophagen, oder kurz Phagen. Hier betrachte ich, woher Phagen kommen, was sie können und wie Ansätze in der Hautpflege vulgo Kosmetik möglich sind.
Wunderbare Welt der Viren
Würde man die Schöpfungsgeschichte neu schreiben, würde sie vielleicht so beginnen: “Am Anfang war das Virus.” Jedenfalls ist das heute in der Wissenschaft die gängige Lehrmeinung (1). Und man nimmt an, dass Viren die wahren Treiber der Evolution sind. Jedenfalls waren sie da, lange bevor alles andere Leben auf der Erde entstand und möglicherweise haben sie sich auch in unsere DNA geschmuggelt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Viren sind die diverseste Gruppe von „Lebewesen“, die alle anderen bekannten Lebensformen als Wirte nutzen können.
Abbildung 1. Phylogenetischer Baum des Lebens (1): Lange bevor „Leben“ entstand, gab es schon RNA und Viren in der Ursuppe
Viren sind extrem vielfältig: Wir Menschen leiden unter Influenza Viren oder Corona, Pflanzen können von Viren befallen werden, wie dem Tabak-Mosaik Virus und auch Bakterien. Diese Viren heißen Phagen (2).
Selektiv und hohe Spezifität: Phagen infizieren nur Bakterien
Viren zeichnet aus, dass sie wählerisch sind. Sie infizieren selektiv meist nur einige wenige Spezies. Weiterhin sind sie extrem anpassungsfähig, denn sie mutieren eigentlich andauernd.
Lange Zeit führten Phagen ein Schattendasein. Nur in Staaten der ehemaligen Sowjetunion, wo man sich keine teuren Antibiotika leisten konnte, wurden sie systematisch untersucht. Dabei waren Phagen schon lange vor der Entdeckung von Antibiotika bekannt (1, 3)!
Jetzt werden Phagen immer häufiger eingesetzt, weil wir durch den ausufernden Einsatz von Antibiotika bei vielen Bakterien Resistenzen erzeugt haben. Weiterhin wirken Phagen sehr spezifisch nur auf eine Bakterienart und lassen das Mikrobiom (also die gesamte andere bakterielle Community) weitgehend unbeeinflusst. Das macht sie zur maßgeschneiderten Waffe gegen bakterielle Infektionen.
Abbildung 2: So sieht das aus, wenn Bakteriophagen ein Bakterium infizieren, dokumentiert von Dr. Graham Beards mittels Elektronen-mikroskopischer Aufnahmen
Phagentherapie beim Menschen
Für eine etablierte Therapie, braucht man (die Medizin) mehr als anekdotische Berichte von Heilung Sie fordert dokumentierte Virenstämme und Behandlungsabläufe. Auch wenn Phagen wirklich gut untersucht sind, so einfach anwenden darf man sie nicht. Man braucht eine medizinische Indikation und einen Arzt, der die Anwendung kontrolliert. Das geht in Europa derzeit nur in Belgien oder in Georgien. Für eine therapeutische Zulassung müssen die Phagen noch viele Untersuchungen bestehen (4, 5). Dass man sie dabei auf die individuellen Probleme des Patienten hin zusammen setzten kann, macht die Lage nicht einfacher.
Für eine kosmetische Anwendung ist die Phagentherapie derzeit noch meilenweit entfernt, außer man verwendet gar nicht das Virus selbst.
Phagen lösen Bakterien auf – Endolysine auch
Weswegen Phagen eine so gute Wirksamkeit gegen Bakterien haben ist folgende. Sie dringen in die Zelle ein, ersetzen die DNA mit ihrem eigenen Erbmaterial und vermehren sich dann exponentiell. Wenn ausreichend viele Viren entstanden sind sezernieren sie ein Enzym, ein sogenanntes Endolysin (6), das die Zellwand des Bakteriums auflöst. Das Bakterium stirbt, die Viren können raus und weitere Bakterien infizieren (7).
Dieses Endolysin kann man biotechnologisch herstellen. Dabei wirkt es genauso spezifisch wie die Phagen selbst (8).
Biotech-start-up in den Niederlanden
Die Firma Micreos wurde vor 15 Jahren in den Niederlanden gegründet und hat sich auf die Herstellung von Endolysinen spezialisiert (9). Diese werden in der Lebensmittelindustrie (gegen Listerien und Salmonellen) wie auch Krankenhauskeime (Methicillin resistente Staph.aureus = MRSA) eingesetzt. Gerade letztere Endolysine, die unter dem Namen Stapheffekt vermarktet werden, sind auch für die Hautpflege interessant (10). 2019 erhielt die Firma den höchstmöglichen Förderpreis der EU, um die Forschung an Alternativen zu Antibiotika weiter voran zu treiben (11).
Abbildung 3: Das Aussehen von Bakteriophagen erinnert mich übrigens an Mondlandefähren der Apollo Mission der Nasa (Quelle, Wikipedia)
Das Haut Mikrobiom bei entzündlichen Erkrankungen
Wenn Ihr mir folgt, habt Ihr sicherlich schon die Artikel zum Hautmikrobiom (12)und zu den Hauttypen (13) gelesen. Mittlerweile weiß man, dass viele Hauterkrankungen wie Akne, Neurodermitis und Rosacea durch sogenannte Superinfektionen von Staph. Aureus verschlimmert werden und dadurch persistieren. Viele Dermatologen verschreiben dennoch Antibiotika, um diese Hauterkrankungen in den Griff zu bekommen. Die Nachteile liegen auf der Hand: viele nützliche Keime werden mit abgetötet und die pathogenen Keime entwickeln Resistenzen. Hier hilft das patentierte Enzym Stapheffekt.
Das Endoylsin wirkt gezielt auf das Bakterium Staph. Aureus und sorgt somit zu einer schnellen und nachhaltigen Verbesserung des Hautzustandes.
Kosmetische Produkte mit erwiesener Wirksamkeit
Die von Micreos vertriebenen Produkte unter der Marke Gladskin erfüllen im wahrsten Sinne alle Voraussetzungen für die Corneotherapie (14). Ihre Wirksamkeit wurde in dermatologischen Studien belegt (15, 16).
Im Moment sind die Produkte noch nicht sehr bekannt, was sich aber vermutlich bald ändern wird. Denn das kosmetische Schwergewicht L’Oréal hat sich im Oktober 2020 die Lizenzen an dem Endolysin Stapheffekt gesichert und damit wieder mal ein gutes Gespür für wichtige Innovationen gezeigt (17).
Ein neues Produkt wird sehr wahrscheinlich gegen Neurodermitis positioniert werden. Staph. Aureus ist ein wesentlicher Treiber dieser Hauterkrankung (18). Micreos selber verkündete nur einen Monat vor dem Deal mit L’Oréal, dass sie eine (weitere?) klinische Studie dazu in Auftrag gegeben haben (19).
Gleichzeitig ist die Wirksamkeit von Endoylsinen bei Staph. Aureus Infektionen schon gut belegt (20, 21).
Fazit und Ausblick
Damit stehen Produkte mit echter Wirksamkeit gegen Hautprobleme bereit. Das schöne daran ist, man muß nicht zum Arzt, um sie zu erhalten. Derzeit kann man sie noch einfach online oder über eine Kosmetikerin bestellen (22). Aber auch für kosmetische Produkte gilt: sie sind sicher. Denn erstens enthalten sie keine Viren, sondern nur Enzyme und zweitens sind sie natürlich auf ihre Verträglichkeit hin getestet.
Aus meiner Sicht ein großer Fortschritt, denn mit der Anwendung wird gezielt gegen ein pathogenes Bakterium vorgegangen und das Haut Mikrobiom erhalten. Das entspricht einer guten Corneotherapie.
In der Zukunft wird sicherlich weiter an Phagen geforscht werden. Auch, wenn jetzt schon Endolysine zur Bekämpfung von Staph aureus bereit stehen, sind ForscherInnen dabei, Phagen auch gegen andere Bakterien wie z.B. P. acnes in Stellung zu bringen (23).
Über entzündliche Hautzustände hinaus, wird die Bekämpfung anderer bakterieller Infektionen mit Phagen immer wichtiger (24, 25), denn immer mehr Bakterien weisen Antibiotikaresistenzen auf. 2017 veröffentlichte die WHO eine Prioritäten-Liste, der wichtigsten multiresistenten Bakterien (26). Überwiegend lauern diese noch in Krankenhäusern.
Literatur
(1) Mölling K, Viren: Supermacht des Lebens, C.H.Beck, München 2015 ISBN 9783406760297
(2) https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/viren/12540
(3) https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-352016/biologische-waffen-gegen-bakterien/
(4) Furfaro LL, Payne MS, Chang BJ. Bacteriophage Therapy: Clinical Trials and Regulatory Hurdles. Front Cell Infect Microbiol. 2018 Oct 23;8:376. doi: 10.3389/fcimb.2018.00376. PMID: 30406049; PMCID: PMC6205996 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30406049/
(5) https://www.dw.com/de/phagen-bakterienfresser-aus-georgien-als-medizin-von-morgen/a-51309915
(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Endolysine
(7) https://www.wissen.de/bakteriophagen-virale-unbekannte-unserem-koerper
(8) Gutiérrez D, Fernández L, Rodríguez A, García P, Are Phage Lytic Proteins the Secret Weapon To Kill Staphylococcus aureus? mBio Jan 2018, 9 (1) e01923-17; DOI: 10.1128/mBio.01923-17 https://mbio.asm.org/content/mbio/9/1/e01923-17.full.pdf
(9) https://en.wikipedia.org/wiki/Micreos
(10) https://data.epo.org/gpi/EP3144387A1
(11) https://www.presseportal.de/pm/111956/4437323
(12) https://dejayu.de/das-mikrobiom-der-haut/
(13) https://dejayu.de/kosmetische-hauttypen-mythos-chaos-und-neueste-erkenntnisse/
(14) Keck, C.M. Corneotherapie – Pflege und Reparatur der Haut: präzise, effektiv und nachhaltig. J Ästhet Chir 13, 132–142 (2020). https://doi.org/10.1007/s12631-020-00227-9 https://link.springer.com/article/10.1007/s12631-020-00227-9
(15) Totté JEE, van Doorn MB, Pasmans SGMA. Successful Treatment of Chronic Staphylococcus aureus-Related Dermatoses with the Topical Endolysin Staphefekt SA.100: A Report of 3 Cases. Case Rep Dermatol. 2017;9(2):19-25. Published 2017 May 22. doi:10.1159/000473872 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5465516/
(16) https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02840955
(17) https://www.micreos.com/news/LOreal-signs-license-agreement-with-Dutch-biotech-Micreos-world-leader-in-targeted-bacterial-biotechnology.aspx
(18) Hepburn L, Hijnen D, Sellman B, Mustelin T, Sleeman M, May R, Strickland I, (2017), The complex biology and contribution of Staphylococcus aureus in atopic dermatitis, current and future therapies. Br J Dermatol, 177: 63-71. https://doi.org/10.1111/bjd.15139 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/bjd.15139
(19) https://www.micreos.com/news/Micreos-initiates-clinical-trial-to-evaluate-world-first-endolysin-drug-as-a-therapy-for-Atopic-Dermatitis.aspx
(20) Fenton M, Ross P, McAuliffe O, O’Mahony J, Coffey A. Recombinant bacteriophage lysins as antibacterials. Bioeng Bugs. 2010;1(1):9-16. doi:10.4161/bbug.1.1.9818 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3035150/
(21) Schmelcher M, Donovan DM, Loessner MJ, Bacteriophage endolysins as novel antimicrobials, Future Microbiology 2012 7:10, 1147-1171 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3563964/pdf/nihms-434243.pdf
(22) https://www.gladskin.de/?gclid=CjwKCAiAxeX_BRASEiwAc1QdkdEzTPMADzKit60FfWd8vp3_GXVy0LaNKPOlpOteivwJ3t2G4vAbiBoCHbsQAvD_BwE
(23) Castillo DE, Nanda S, Keri JE. Propionibacterium (Cutibacterium) acnes Bacteriophage Therapy in Acne: Current Evidence and Future Perspectives. Dermatol Ther (Heidelb). 2019 Mar;9(1):19-31. doi: 10.1007/s13555-018-0275-9. Epub 2018 Dec 11. PMID: 30539425; PMCID: PMC6380980 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6380980/pdf/13555_2018_Article_275.pdf
(24) Santos SB, Costa AR, Carvalho C, Nóbrega FL, Azeredo J. Exploiting Bacteriophage Proteomes: The Hidden Biotechnological Potential. Trends Biotechnol. 2018 Sep;36(9):966-984. doi: 10.1016/j.tibtech.2018.04.006. Epub 2018 May 16. PMID: 29778530. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29778530/
(25) https://www.mymicrobiome.info/alternativen-zu-antibiotika.html
(26) https://www.who.int/news/item/27-02-2017-who-publishes-list-of-bacteria-for-which-new-antibiotics-are-urgently-needed
Bildnachweise
Titelbild: Shutterstock ID1647151993, Autor: Andamati https://www.shutterstock.com/de/g/merabi+shonia
Abbildung 1: Eigenes Werk und verwendbar unter der Creative Commons Lizenz CC BY-SA 3.0
Abbildung 2: Elektronenmikroskopische Aufnahme von Dr. Graham Beards, Wikimedia commons https://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=Special:Search&limit=250&offset=0&ns0=1&ns6=1&ns12=1&ns14=1&ns100=1&ns106=1&search=File%3ABacteriophage+beards&advancedSearch-current={}#/media/File:Phage.jpg
Abbildung 3: Mondlandefähre Wikipedia commons, https://de.wikipedia.org/wiki/Apollo-Mondlandef%C3%A4hre#/media/Datei:Apollo16LM.jpg
Bakteriophage Wikipedia commons https://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=Special:Search&limit=100&offset=100&profile=default&search=File%3ABacteriophage&advancedSearch-current=%7B%7D&ns0=1&ns6=1&ns12=1&ns14=1&ns100=1&ns106=1#/media/File:Bacteriophage2.png